Na, wie isses?
Ich hab mir in den letzten Tagen ein paar Gedanken zu Newslettern gemacht: Ich hab mich gefragt, warum welche Newsletter eigentlich ganz geil sind. Und dann frag ich mich, in meiner Funktion als B2B-Marketing-Fuzzi: Warum gibt es eigentlich richtig wenige, richtig gute Corporate Newsletter?
Du, Leser:in, was ist denn eigentlich Dein Lieblings-Newsletter? Ich (Matze) hab mehrere. Also neben diesem hier. Spontan fallen mir die hier ein:
Die Branchen und die Leute hinter diesen Newslettern sind völlig unterschiedlich, man könnte also (teilweise richtig) vermuten, dass also auch völlig verschiedene Zielsetzungen hinter den Newslettern stecken und das wiederum müsste doch eigentlich implizieren, dass die Newsletter auch stilistisch sehr weit auseinander liegen, oder?
Hm. Jein. Das ist gar nicht unbedingt so.
Komischerweise mag ich die nämlich alle aus denselben (wenigen) Gründen.
Mehr kibibits auf
www.kibibits.de
oder alle 13~17 Tage ein
geiler
Newsletter in deiner Inbox. Neue Ideen, alte Buzzwords, neue Säue, alte Dörfer und gepflegte Langeweile sowie unsere höchst slave-to-the-algorithm geordnete Ungeordnete-Gedanken-Sammlung:
§1 | Was macht Newsletter geil?
Okay, es ist nicht mein Anliegen hier auseinandersetzen, ob auch Schriftstücke Erregung verspüren können … aber zum Versprühen von Erregung wiederum sind doch sicherlich gewisse Qualitäten erforderlich (und so herum kann ich auch die Überschrift stehen lassen).
Was also hat – sagen wir mal – der Newsletter des Auktionshauses Christie’s mit dem eines politisch streitbaren, teils aktivistisch wirkenden Konzert-Agenten gemein? Und warum gehört für mich der Rundbrief des Impact-Investors und Social Entrepreneur Ferdi van Heerden mit dem der Tech-Bude von Futurism in einen Pott?
Christie’s: Quizwissen unterm Hammer
Bei Christie’s nennt man den Newsletter Online Magazin – und tatsächlich findet man hier keinen (zumindest keinen Holzhammer-direkten) Hinweis auf irgendwelche bevorstehenden Auktionen, Fristen, Anmeldeaufforderungen oder dergleichen. Stattdessen: Stories bzw. Editors Picks. Man erfährt etwas über die Geschichte von Campbelltown, der Heimat der Whisky-Destillerie Springbank, und warum 1919 ein Schicksalsjahr für das kleine Schottische Dorf gewesen ist. Man lernt, wie Drachen-Teppiche in der Ming-Dynastie gefärbt worden sind, und welche Oxidations-Prozesse für ihre heutige meist gelbe Farbe sorgen. Oder, dass Dune mal mit Salvador Dalí, Mick Jagger, Orson Welles, David Carradine und Alain Delon in den Hauptrollen verfilmt werden sollte und Pink Floyd den Soundtrack liefern sollten. (Das hätte ich mir eigentlich gern mal angesehen. Das Ergebnis wäre bestimmt entweder wahnsinnige Scheiße (“Kult”) geworden aber mit toller Musik – oder wahnsinnige Scheiße mit auch noch Scheiß-Musik dazu (“Kult!”).)
Und ganz viel anderes auf den ersten Blick unnützes, aber super-interessantes Zeug.
The Logic Leap: Normative Kräfte
Ferdi van Heerden wird einem als Change Agent oder Innovation Designer angekündigt. Seine Brötchen hat er scheinbar als Berater u.a. für Microsoft, die Neuseeländische Regierung oder Facebook verdient, seinen Fame u.a. mit der Gründung der REDI School of Digital Integration, einer Coding-Schule für Geflüchtete in Berlin.
In seinem Newsletter The Logic Leap verbindet van Heerden Kritik an Buzzwords aus der Digital-Sphäre mit Geschichten aus dem Apartheid-Südafrika; oder er leitet Begriffe etymologisch her, auf die er im Rahmen von Herausforderungen mit seinen Baustellen gestoßen ist (er investiert in faire Kakao-Plantagen und baut Kakao-Pressen in Zentralafrika auf). Sein Newsletter schließt regelmäßig mit einem moralischen Appell: “Let’s take that Leap.”
Berthold Seliger: Kommentiertes Vorwurfsverzeichnis
Berthold Seliger ist Konzert-Agent. Sein Job besteht also vordergründig darin, Touren für die mehr oder weniger bekannten Bands in seinem Roster zu organisieren und schließlich zu promoten. Sein Newsletter dient folgerichtigerweise in erster Linie der Kundgabe von Konzertterminen. Darüber hinaus streitet der Autor aber über Corona-Regeln (im Kulturbetrieb), kommentiert die politische und ökonomische Lage von Kulturschaffenden, grantelt über den Zusammenhang von Künstler-Katalogen, Urheberrecht und Steueroasen, teilt aber zwischendurch auch aktuelle Anspieltipps.
§2 | Was diese Newsletter gemein haben?
Überm Tellerrand geht’s weiter!
Ihre Autoren schauen weit über die Tellerränder ihrer eigentlichen Professionen hinaus. Teils machen sie das unter Beibehaltung eines recht klaren Bezugs (bei dem Auktionshaus Christie’s sorgt ja nicht zuletzt neben der ggf. dokumentierten Provenienz die Einordbarkeit der Dinge in ihre historischen Gewordenheit eine zentrale Rolle für die Wert-Wahrnehmung), teils mit rein thematischem Bezug (wie bei Seliger), teils durch vernetztes Denken und die Wahrung einer Haltung gegenüber der Welt (van Heerden, Sentiers, …).
Die speziellen und die allgemeinen Dinge …
… und wie sie zueinander stehen: Newsletter-Essays werden dann spannend, wenn sie das Allgemeine und das Konkrete zu verbinden wissen – also aus der konkreten Story den Absprung zum größeren Ganzen oder zu einer zu folgernden allgemeinen Gesetzgebung schaffen. Oder wenn sie, andersherum, eine größere Debatte durch ein Streiflicht eines jüngst erlebten oder beobachteten Fall beleuchten.
Sie sind eine Zumutung!
Statt einem hier schnell irgendwas anzudrehen, lassen sich die Autoren dieser Newsletter richtig viel Raum, Gedanken zu entwickeln. Sie muten der Leserschaft lange Texte zu und beschränken sich nicht auf plakative Slogans oder Verkürzungen.
Sie sind ansteckend.
Guten Newslettern gemein ist ein gewisser Tonfall der Begeisterung. Ob sich Seliger über den Kommerz mit dem Dylan-Katalog aufregt, das Hubspot-Team über Best Practices bei Landing Pages auslässt oder die Futurism-Typen sich with all due respect (gar keinem) über sämtlichen heißen Scheiß zwischen Wissenschaft und Technologie lustig machen und/oder staunen (Brain Implant Typing, anyone?), klingt bei allen eins durch: persönliche Begeisterung für die Themen.
Sie reiben dir ihr Ziel nicht auf (auch nicht unter) die Nase.
Was auch immer die Ziele (neben Selbstverwirklichung und Spaß an der Schreibe) sind – sie werden fast wie nebenbei abgehandelt. Ein guter Newsletter stellt dir Zeug vor (das wiederum impliziert die vorangegangenen drei Punkte) statt dir Zeug unterzuschieben.
§3 | Bedeutet das etwas für Corporate Newsletter?
Well … ja.
Es gibt ja offenbar unzählige Newsletter – von Autoren, Wissenschaftlern und Journalisten, die sich nicht erst (aber jetzt erst recht!) durch den Aufstieg von Content-Plattformen wie Substack oder Steady eigenständig gemacht haben und natürlich von Unternehmen aller Art.
Das hat gute Gründe: Einerseits sind Newsletter als Medium so alt wie das römische Reich. Man kann das Format daher durchaus als gelernt bezeichnen. Man kennt es.
In Unternehmen wiederum ist dieser Sachverhalt durchaus wohlbekannt: Man kann Menschen offenbar via E-Mail gut erreichen. Aha. Na dann will man den Kanal natürlich auch nutzen.
Der Newsletter wird von entsprechend von fast dreiviertel der Unternehmen als “exzellenter Marketing-Kanal” bezeichnet. Laut kinsta nutzen 87% der B2B-Marketer E-Mail als Vertriebskanal.
Oh. Schon ist hier was durcheinander gekommen. Zwischen dem Format Newsletter und dem Kanal E-Mail gibt’s ja schließlich einen Kategorien-Unterschied!
Und nochwas:
Fragt man in Unternehmen (Pro-Tipp: erst Marketing-Team, dann Sales-Team und dann Geschäftsleitung fragen) ein bisschen herum, welche Ziele mit E-Mail-Marketing verfolgt werden, kommt meist nämlich ein wüster Haufen verschiedener Antworten heraus: Lead-Generierung, Employer Branding, Kundenbindung, Content Marketing, mehr Website Traffic, mehr Verkäufe, Lead Nurturing, Cross Selling, Markenbekanntschaft, Partner Marketing … und dann steht das da erstmal alles so als-ob-gleichberechtigt da.
Mailings (inkl. Newsletter) können (oder: sollten!) für diese Ziele oder Zwecke gestaltet bzw. auf diese Ziele hin ausgerichtet werden. Jeweils.
§4 | Warum sind die meisten Corporate Newsletter kacke?
Newslettern wird oft zugetraut, dass sie das alles auf einmal hinbekommen. Zu verschiedenen Zielen kommt aber noch was hinzu: verschiedene Zielgruppen.
Newsletter sollen also bestenfalls auch noch alle Zielgruppen vereinen:
Sie sollen cool klingen – hier arbeiten schließlich richtig coole Hipster:innen, alle promoviert in Meteorologie, alle mit crazy Hobbys (Bananenblattflechten, Airhockey, Ameisenfarming) und hart Bock auf Friday Beers und das sollte auch rüberkommen.
Sie sollen zeigen, was man kann: aktuelle Aktionen, Angebote, Specials, alle Events auf denen man vertreten ist und alle Blogartikel, die man in den letzten Monaten publiziert hat.
Sie sollen zu schnellen Conversions beitragen, also bloß keine langen Texte. Niemand mag lange Texte! Stattdessen lieber viele Bilder (und Videos!) haben, denn Leute lieben Bilder und hassen Texte (hat doch niemand Zeit).
Sie sollen aber eine sehr kurze Ladezeit haben – denn die Leute lesen deinen Newsletter in der U-Bahn. Also: Bloß nicht so viele Bilder! Auf gar keinen Fall Videos!
Deine Bestandskunden sollen dich ernst nehmen. Also: nicht versuchen, lustig zu sein. Durch saloppe Ansprachen könnten sie sich auf ihre Schlipse getreten fühlen. Sie tragen alle Schlipse. Besser auch nicht gendern. Besonders Vorstände mögen das gar nicht. Scheiß Quote.
Ach, gendern nicht vergessen, du wendest dich hier schließlich auch an deine potenziellen neuen Kolleg:innen.
Und so weiter.
Es dürfte klar sein: Das Ergebnis ist fast immer ein schlechter Kompromiss aus den Zielen und Erwartungen aller Stakeholder.
Bonus-Analogie: Es ist außerdem ein bisschen so wie mit den Podcasts. Nur weil drölf Millionen Leute irgendwelche Podcasts hören, heißt das noch gar nix für deinen Corporate Podcast.
§5 | Kleiner Content Marketer, was tun?
Es gibt mehrere Möglichkeiten. Zum Beispiel:
Sich mit Mittelmaß zufriedengeben (Ach, naja, das ist keine Lösung …)
Den Kolleg:innen und Vorgesetzten im Streit über die maßgeblichen Ziele von E-Mail-Marketing über die Füße fahren (ist schnell gemacht)
Keinen Newsletter mehr schreiben (ist noch schneller gemacht, aber auch keine richtig tolle Lösung, siehe §3)
Zielgruppen analysieren, Ziele durchchecken und verschiedene Mailings für verschiedene Ziele und Zielgruppen aufsetzen (Achtung: ziemlicher Aufwand!)
Alle auf ein gemeinsames Ziel einschwören (ja, keine schlechte Idee)
Alle auf ihre jeweiligen Ziele einschwören (YEAH. Now we’re Talking! Los, Ellbogen rausfahrn!!! Ernsthaft: weiter mit Punkt 4)
… und bestimmt gibts noch ein paar Optionen.
Das Wichtigste* ist aber, sich selbst etwas klar zu machen:
Wenn man will, dass es allen gefällt, wird es Scheiße.
Und sonst? Siehe §2.
Viel Spaß :)
Matze
New Bits on the Blog
Sell-in, sell-out: Der perfekte Medien-Pitch
Der durchschnittliche Mensch muss pro Tag um die 34 Gb (Gigabytes) an Informationen verarbeiten. Auch in der Medienlandschaft ist es nicht leichter geworden, ein Thema zu platzieren. Die wenigsten Themen schaffen es allein durch den Versand einer Pressemitteilung veröffentlicht zu werden. Was also tun? Die Journalist:innen am besten direkt ansprechen! Ja: sprechen.
Wie das geht? Hier entlang.
KIBI-BITES
Was die Kibibitse in den vergangenen Wochen so beschäftigt hat – Artikel, Bücher, Filme, News.
Einige haben es vermutet, andere befürchtet: Es sind ausgerechnet unsere ach so menschlichen Macken, die es der künstlichen Intelligenz schwer – oder gar unmöglich – machen, uns Menschen vollständig nachzuahmen. Irrationalität, Kreativität oder der gute alte gesunde Menschenverstand – all das kann man der KI (noch) nicht beibringen. Ob das gut oder schlecht ist, kann jede:r für sich entscheiden. Gerne vorher den Artikel (EN) von Herbert L. Roitblat lesen, der eine sehr ausführliche und differenzierte Antwort gibt auf die Frage: Warum Computer nicht kreativ sind. Was passiert, wenn sich Computer im kreativen Schreiben betätigen, kann hier nachgelesen werden (EN). Spoiler: Noch habe ich keine Angst um meinen Job.
Das Internet – was ist das eigentlich? Darauf könnte man verschiedenste Antworten geben – von hochtechnisch bis tief philosophisch. Wie leicht vergisst man dabei, dass das Internet von einem Netz langer, dicker Unterseekabel gespeist wird, die Kontinente und Inseln wie ein verborgenes Leitungssystem miteinander verbinden. Einen faszinierenden Einblick bieten dazu diese Karte und diese Doku (DE).
Mit einem anderen Netzwerk beschäftigt sich Merlin Sheldrake. Und zwar mit dem sogenannten Wood Wide Web – Myzel-Geflechten aller Art. Meine liebste Stelle aus seinem aktuellen Buch (frei aus dem Englischen übersetzt):
»Ein Myzel-Netzwerk ist eine Karte der jüngsten Geschichte eines Pilzes und eine hilfreiche Erinnerung daran, dass alle Lebensformen in Wirklichkeit Prozesse und keine Dinge sind. Das ‘Du’ von vor fünf Jahren wurde aus einem anderen Material hergestellt als das ‘Du’ von heute. Die Natur ist ein Ereignis, das nie aufhört. Wie William Bateson, der das Wort Genetik prägte, feststellte: "Wir denken bei Tieren und Pflanzen gewöhnlich an Materie, aber in Wirklichkeit sind sie Systeme, die ständig von Materie durchlaufen werden.”«Wem das zu esoterisch anmutet, kann sich hier anschauen, wie Sheldrake sein eigenes Buch isst.
Wo wir schon bei Scheiße sind. Walscheiße ist ziemlich wichtig. Wale machen Carbon-Capture-Super-Scheiße!
Einen anderen Weg ging und geht Rocco Schamoni. Er macht aus Gold Scheiße. Schon seit Langem sagt er: “Jetzt, in den Zeiten der Krise aus Gold Scheiße zu machen und damit den herkömmlichen Produktionszyklus umzudrehen, ist nicht nur ein künstlerisches sondern auch ein politisches Statement.”
Ernsthaft Scheiße: Eine Israelische Ministerin wurde an der Teilnahme d. COP26 behindert – weil sie Rollstuhlfahrerin ist. Wie behindert ist das denn eigentlich!? Über den feinen Unterschied zwischen behindert sein und behindert werden schrieb Marlies Hübner hier.
So viel für heute. Gehab Dich wohl! Bis zum nächsten kibibetter. Und wenn Du das hier gern gelesen hast: #sharingiscaring – Danke <3
*und was ist das Schlimmste? Richtig.